Freitag, 20. Dezember 2013 | News | Blog, Gründernews, Expertennews

Die hohe Kunst des Einfachen

Zeit ist ein knappes Gut. Kaum jemand möchte sich noch mit langen Bedienungsanleitungen und Handbüchern auseinandersetzen. Produkte müssen intuitiv bedienbar sein. Usability oder Anwenderfreundlichkeit spielt daher im Wettbewerb eine bedeutende Rolle. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist ganz besonders das Management eines Unternehmens gefragt. Prof. Dr. Norbert Gerth, Fakultät für Informatik an der Hochschule Augsburg, gibt Antworten auf Fragen zum Thema Usability und dessen Bedeutung für den Erfolg eines einzelnen Unternehmens sowie einer ganzen Wirtschaftsregion.

Prof. Dr. Norbert Gerth (Foto: privat)

Prof. Dr. Norbert Gerth (Foto: privat)

Wie hat sich das Thema Usability in den vergangenen Jahren entwickelt?
In den Medien wird das Thema Usability seit einigen Jahren immer populärer. Ältere Begriffe wie Softwareergonomie oder Anwenderfreundlichkeit wurden dabei schrittweise durch die englischsprachigen Begriffe Usability und User Experience ersetzt. Ungeachtet dieser sprachlichen Veränderung gilt es weiterhin als unstrittig, dass die Gestaltung benutzungsfreundlicher Softwareinterfaces unverzichtbar ist, wenn es darum geht, Produkte erfolgreich zu entwickeln und zu vermarkten. Die Benutzer wollen vereinfachte Produkte, komplexe Anwendungen haben heutzutage gar keine Chance mehr.

Macht Usability Unternehmen erfolgreicher?
Die Ergebnisse jüngster Studien zum Thema Usability belegen klar: Immer ungeduldigere Menschen wollen keine Anleitungen mehr lesen. Der Bedarf nach einfacher, intuitiver Bedienung ist klar vorhanden und Usability ist bei vielen Anwenderunternehmen bereits ein explizites Kaufkriterium. Interessanterweise rangiert es nicht selten vor den bekannteren Kriterien wie Preis oder Funktionsumfang. Damit jedoch wird die einfache Bedienbarkeit für Hersteller technischer Produkte mehr und mehr einem zentralen Verkaufsargument und mitentscheidend für Kundenakquise und Kundenzufriedenheit. Anwenderzufriedenheit ist so heute ein Schlüssel zum Erfolg - sowohl bezogen auf eine langfristige Kundenbindung, wie auch auf die Umsatzentwicklung.

Durch welche Maßnahmen wird Software „usable“?
Softwarefirmen können in ihrem Bestreben nach größerer Usability an mehreren Stellen ansetzen: Auf der Ebene des Softwareentwicklungsprozesses ist das aktive Einbinden späterer Anwender in verschiedenen Phasen sicherlich das A&O (Stichwort 'User Centered Design'). Zweckmäßig ist diese Form der Beteiligung von Usern in jedem Fall während der Analysephase und der Anforderungsdefinition, aber natürlich auch beim späteren Testen von Prototypen. Organisatorisch sollte diese Vorgehensweise flankiert sein von einer formalen Verankerung des Themas Usability in Rollen, Stellen bzw. durch die Bereitstellung entsprechender Budgets.

Was sind die Voraussetzungen für eine Umsetzung wirkungsvoller Usability-Maßnahmen?
Betrachtet man Unternehmen, die im Bereich Usability-Engineering bereits fortgeschritten sind, so stellt man fest, dass die Einstellung des Managements zum Thema Usability von entscheidender Bedeutung ist. Erst wenn das Management um die Wettbewerbsbedeutung einer hohen Gebrauchstauglichkeit der eigenen Produkte weiß, werden Stellen bzw. Budgets bereitgestellt und dadurch die Voraussetzungen für eine intensive Einbindung von Usern in den Entwicklungsprozess geschaffen. Ein zweiter wichtiger Faktor ist der Aufbau von Expertenwissen im Herstellerunternehmen. Dadurch wird garantiert, dass das Ziel nach einer verbesserten Usability auch mit den geeigneten Maßnahmen verfolgt wird.

Welche Bedeutung hat das Thema Usability für den Wirtschaftsraum Augsburg?
Nun, die gute Benutzbarkeit von Software ist ein Wettbewerbsfaktor.
Und mit über 5.000 Unternehmen und über 35.000 Beschäftigten in den Branchen Medien, Informations- und Kommunikationstechnologie gilt der Wirtschaftsraum Bayerisch-Schwaben als ausgeprägter IT-Standort.
Investieren die hiesigen Anbieter technischer Produkte zukünftig verstärkt in eine hohe Usability ihrer Anwendungssoftware, so ergeben sich hieraus auch klare Differenzierungsvorteile gegenüber Wettbewerbern aus anderen Regionen.

Denn eines ist klar: Gut bedienbare Software führt zu besseren Produkten, die sich von denen der Konkurrenz abheben. Das Thema Usability führt auf diesem Wege zumindest mittel- bis langfristig zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der regionalen ITK-Unternehmen sowie zu einer positiven Standort- und Branchenentwicklung. Und mit den hier ansässigen Hochschulen und Forschungsstellen bietet die Region ein viel versprechendes Knowhow-Potenzial im Bereich Usability-Engineering auf das die heimische Wirtschaft zurückgreifen sollte.

Wo finden Unternehmen Unterstützung?
Prinzipiell bieten mehrere Akteure ihre Hilfe in diesem Bereich an. Neben kommerziellen Dienstleistern suchen Hersteller derzeit immer öfter auch den Austausch mit Hochschulen, die in diesem Bereich Know-how und Erfahrungen aufgebaut haben. Im Rahmen von Forschungs- oder Projektkooperationen bieten sich vielfältige Möglichkeiten, um den Hochschulkontakt für einen fruchtbaren Wissenstransfer zu nutzen. Verbesserungsbedürftig in dieser Hinsicht ist sicherlich die Öffentlichkeitsarbeit vieler Hochschulen. Immer noch zu wenige Softwarehersteller wissen, an welchen Hochschulen bzw. Instituten Usability-Experten zu finden sind und welche Leistungen diese anbieten.

Wie ist das Thema „Usability“ an der Hochschule Augsburg verankert?
Die Hochschule Augsburg hat im Bereich Usability in den letzten Jahren einen großen und beherzten Schritt nach vorne getan. Das vorhandene Expertenwissen wurde gebündelt und eine komplette Neuausstattung der Labore in die Wege geleitet. So hat beispielsweise die Fakultät Informatik in ihren Räumlichkeiten ein ganz neues Uselab-I mit modernsten Analyse- und Auswertungskomponenten einrichten können. Für die Durchführung von Nutzerstudien stehen hier neben der neuesten Version der MORAE-Software zur Analyse klassischer Desktop- und Webanwendungen ein Eyetracking-System der Firma Tobii für Widescreen Displays, wie auch für Tablet-PCs, sowie eine mobile Labor-Variante bereit. Die Fakultät Informatik ist damit bestens vorbereitet, um mit Wirtschaftsunternehmen aus der Region Kooperations- und Schulungsprojekte auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Interaktion erfolgreich durchzuführen.

Welche besonderen Herausforderungen müssen Unternehmen meistern?
Bis heute gibt es leider Schwierigkeiten bei der Vermittlung der Relevanz des Themas. Man hat die Gestaltung der Software zu lange Programmierexperten überlassen. Von daher ist es manchmal schwer zu erklären, warum es nicht nur um das Funktionieren an sich geht. Hier sollte ein Umdenken einsetzen: Weg von der Ingenieurs-Dominanz hin zur Anwender-Akzeptanz, d.h. von funktionaler Perfektion zur überragenden User Experience.

Auch nehmen viele Geschäftsführer v.a. von KMUs Usability nicht als relevant für ihren Erfolg wahr. Hier gilt es anzusetzen und weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Sensibilisierung, Aufklärung und einfache Testläufe öffnen die Augen und zeigen schnell Handlungsbedarf, denn die Realität spricht eine deutliche Sprache.
Hinzu treten die typischen Widersprüche des Alltags, man will, aber kosten darf es nichts. Ohne Investitionen geht allerdings nichts, denn auch hier gilt: Was nichts kostet, ist nichts wert. Und die Praxiserfahrungen zeigen eindeutig, dass ein Investment in Usability-Engineering am Ende sogar Kosteneinsparungen ermöglicht und hilft, Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Weiterhin ist zu beobachten, dass in vielen Organisationen das Wissen um das WIE und WO der Umsetzung zu gering ausgeprägt ist - man weiß schlichtweg nicht, wo man steht und wo man ansetzen soll. Der Aufbau von Expertenwissen im Unternehmen ist allerdings unabdingbar, um die Usability der Produkte positiv zu beeinflussen. Bis es soweit ist, können Dienstleister helfen.

Welchen Rat würden Sie Unternehmen mit auf den Weg geben?
Trauen Sie sich. Machen Sie einen Usability-Selbstcheck. Wir helfen Ihnen dabei und Ihre Kunden werden es Ihnen danken.

Vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person:
Prof. Dr. Norbert Gerth lehrt und forscht seit Anfang 2001 an der Fakultät für Informatik der Hochschule Augsburg. Er vertritt dort das Fachgebiet Marketing und E-Commerce. Vor seinem Engagement an der Hochschule war Prof. Dr. Gerth lange Jahre Unternehmensberater. Während dieser Zeit konnte er in diversen Branchen umfangreiche Praxiserfahrungen sammeln und auch mehrere Start-Ups erfolgreich auf den Weg bringen.