Geht die mobile Zukunft an Europa vorbei?
Bilanz zur 14. Konferenz Mobile Commerce – Technologien, Märkte, Anwendungen (MCTA 2014): Neben spannenden Zukunftskonzepten waren auch kritische Töne und Warnungen zu hören. Die MCTA, Deutschlands traditionsreichste Mobile-Konferenz und seit eineinhalb Jahrzehnten DER alljährliche Treffpunkt der einschlägigen Wissenschaft-Praxis-Szene, setzte erneut Standards bei der fachlichen Qualität der Inhalte.
Die digitale Krise als Resultat von Netzneutralität und naiver Wettbewerbspolitik?
Dass diese Mahnung nicht nur für Unternehmen, sondern auch auf politischer Ebene gilt, machte John Strand deutlich, der vor 20 Jahren Strand Consult in Kopenhagen gründete und weltweit zu den führenden Experten der Telekommunikationsbranche zählt: "If EU policies remain unchanged, Europe will face a digital crisis, which will outrun the effects of financial crisis by far", so Strand in seiner Keynote. Die EU-Regulierung im Telekommunikationssektor sei weder stabil noch klug, sie richte sich häufig nach politischen Stimmungen und sei nur kurzfristig verbraucherfreundlich. Im Ergebnis führe sie dazu, dass die Telekommunikationsunternehmen in Europa nicht mehr in die Infrastruktur investierten. Während vor zehn Jahren die Investments in den USA und der EU im Pro-Kopf-Vergleich etwa gleich hoch waren, ist das Verhältnis inzwischen bei 2:1, und die Schere geht stetig weiter auseinander. Wenn man hier nicht gegensteuere, so Strand, gebe es in einigen Jahren zwar viele neue Dienste, aber in Europa keine Bandbreite für deren Nutzung.
Cyber-Physical Systems und Zukunftstechnologien
Auf der MCTA wurden auch Zukunftstechnologien in diesen Bereichen gezeigt, dabei standen vor allem Drohnen und 3D-Drucksysteme im Mittelpunkt. Thomas Reisacher, Geschäftsführer der Fabrique d'Images, zeigte eine Reihe von Schwachpunkten der kommerziellen Drohnentechnologie auf. Während militärische Drohnen in der Größe durchaus an einen Airbus heranreichen können, sind die kleinen zivilen Drohnen in der Regel nicht in der Lage, wirklich Lasten zu transportieren, wie er am Beispiel eines leeren Paketes demonstrierte. Anderseits sind sie etwa in Japan in der Landwirtschaft bereits sehr stark verbreitet, Drohnen führen dort 90 Prozent der künstlichen Bestäubung durch. Einen beeindruckenden Einblick in die Fähigkeiten der 3D-Drucktechnologie gab Prof. Dr.-Ing. Franz-Josef Villmer von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe.
Vom stillen Dienstleister zum Treiber für das Kerngeschäft
Prof. Dr. Volker Gruhn, Informatiker an der Universität Duisburg-Essen und Gründer des IT-Unternehmens adesso mit mehr als 1000 Mitarbeitern, stellte die "New School of IT" vor. Hier wird durch Mobilität, Agilität und Elastizität einerseits die IT in vielen Unternehmen vom stillen Dienstleister zu einem der Treiber für das Kerngeschäft, etwa in Versicherungen oder im Mobile-Enterprise-Umfeld. Andererseits stellt sich die Anwendungsentwicklung für die mobile Welt aber als eine neue Disziplin dar, in der die Anforderungen heute oft noch deutlich über den Möglichkeiten liegen. So ist das sinnvolle Testen von Software in diesem Umfeld schlicht nicht mehr möglich und erfordert neue - etwa crowd-basierte - Ansätze.
Mobile Payment – deutsche Anbieter stehen vor großen Hürden
Besondere Aufmerksamkeit erhielt in diesem Jahr die neue Mobile-Payment-Strategie der niederländischen Rabobank, die mit dem Kauf des Mobile-Commerce-Dienstleisters MyOrder als erste europäische Großbank mobile Dienste für Handel und Gastronomie anbietet. Rolle und Chancen der Mobilfunkunternehmen im deutschen M-Payment-Markt beleuchtete Christian von Hammel-Bonten von Wirecard.
Bereits am Workshop Day wurden einige unangenehme Fakten auf den Tisch gebracht: So waren 2012 international 15 Prozent der Kartenterminals zum kontaktlosen Bezahlen – etwa mit NFC – geeignet, europaweit 19 Prozent, in Deutschland aber nicht einmal 10 Prozent. Dass von den derzeit 28 Mobile Wallets in Deutschland mindestens zwei Drittel in absehbarer Zeit den Markt wieder verlassen werden, war allgemeiner Konsens unter den Experten.
Im Gegensatz zu NFC sind Beacons eigentlich keine Payment-Technologie. Dass sie dennoch hohe Relevanz im Markt erlangen werden, ergibt sich aus ihren Möglichkeiten zur Erhebung von Retail-Kundendaten.
Wer das M-Payment beherrscht erhält die Empfehlungsmacht
Zum Abschluss der Konferenz stellte Key Pousttchi die neue Studie "Warum wir Mobile Payment neu denken müssen" vor. Sie befasst sich vor allem mit dem Kundenverhalten, das auf dem mobilen Kanal sehr stark differiert, und zeigt den Handlungsbedarf bei M-Payment-Verfahren auf. Über Sicherheit etwa würden viele Mythen kursieren, ebenso darüber, warum bisher keiner den Durchbruch geschafft habe.
"An den Kunden liegt es nicht, bereits vor zehn Jahren wollte die Hälfte der Deutschen gern mit dem Handy bezahlen", so Pousttchi. "Aber es hat bislang kein einziges Verfahren gegeben, das wirklich gut war – und die Kunden haben klare Anforderungen, die man für einen Marktdurchbruch erfüllen muss."
Wenn die deutschen Anbieter es nicht hinbekommen, so sieht er vorher, werden es die AGFEAs machen: Apple, Google, Facebook, eBay/PayPal und Amazon. Und das wäre fatal für Deutschland und Europa. Denn es geht dabei in erster Linie um Kundendaten und das Marketing der Zukunft. Wer das M-Payment beherrscht, so Pousttchi, erhält die Empfehlungsmacht über die künftigen Einkäufe des Kunden – "Predictive Analysis" heißt das.
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Ausführliche Informationen:
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Pressekontakt:
PD Dr. Key Pousttchi
Forschungsgruppe wi-mobile
Universität Augsburg
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Telefon +49 (177) 6319508
key.pousttchi@wi-mobile.de
Die Augsburger Forschungsgruppe wi-mobile im Web:
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